Hier handelte es sich um eine 1-Tages-Etappe nach Smara, mitten in der Region Westsahara. Kurz (200 km) und echt knackig. Um den unterschiedlichen Reaktionen auf die politischen Unwägbarkeiten Rechnung zu tragen, sah das Roadbook unterschiedliche Routenvorschläge vor. Auswärtiges Amt:
„Von Reisen in das Gebiet der Westsahara sowie in die unmittelbare Grenzregion mit Algerien wird dringend abgeraten.
Trotz erheblicher Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko terroristischer Angriffe.
2018 wurden zwei Touristinnen auf einer Wandertour in der Nähe des Mont Toubkal im Atlasgebirge Opfer eines Gewaltverbrechens mit terroristischem Hintergrund.
- Vermeiden Sie, alleine und abseits von Straßen zu reisen.
- Unternehmen Sie Trekking-Touren in den Bergregionen und Offroad-Touren in den Wüstengebieten (Zagora/Merzouga) grundsätzlich nur in einer Gruppe und mit registrierten landeskundigen Reiseführern.
- Erkundigen Sie sich ggf. tagesaktuell nach der Sicherheitslage für Touren bei den marokkanischen Polizeibehörden.“
Für diejenigen, die die Westsahara meiden wollten, gab es einen Routenvorschlag mit Überspringen von zwei Checkpoints mit der Aufforderung, sich in diesem Fall explizit abzumelden, um keine ausufernden Suchaktionen starten zu müssen (Annex: Es gab ja auch noch die WhatsApp-Gruppe, in der alle Teilnehmer am Morgen ihren Standort geteilt haben in der langen 8-Stunden-Variante). Dann war eine absolute Offroad-Strecke vorgesehen, die ich uns aber (im Nachhinein absolut zu Recht) nicht zugetraut habe, andererseits konnte man auf Asphalt zum nächsten Checkpoint „rollen“. Das haben wir getan und das war auch gut so. Unterwegs hatten wir mal wieder die obligatorische Reifenpanne, diesmal hinten rechts. Es hat sich irgendwie nicht so als gute Idee erwiesen, die alten „Verkaufsverpackungen“ als Reifen draufzulassen, als ich die Gullideckel-Felgen besorgt habe. Alte Winterreifen bei Asphalttemperaturen jenseits von gut und böse kann man nicht mehr rechtfertigen. Das ist einfach blöd. Das kann man auch nicht damit begründen, dass die doch noch so ein schönes Profil hatten. Meine Dummheit.
Nach ein paar Stunden sind wir so mit als erste angekommen in dem als Checkpoint vorgesehen Camp, das im Roadbook wie folgt beschrieben wurde: „Das Camp ist einfach, dafür ist es mit den Betreibern kompliziert. Wir sind angekündigt, aber wie im Vorjahr könnte es beim Essen zu erheblichen Wartezeiten kommen. Stellt Euch einfach vor, Ihr fahrt auf der A8 zwischen Stuttgart und Karlsruhe. Schlimmer wird es hoffentlich nicht werden.“
Ok, so eingestimmt, haben wir also erstmal vorsichtig Kontakt mit den Betreibern aufgenommen. Die Ehefrau, eine durchaus attraktive Anfangvierzigerin, die mit einem aus Sicht der anwesenden Frauen ebenfalls durchaus attraktiven Endfünfziger das Camp betrieb, war eine ziemlich verrückte Nudel. Sie sprach echt gut englisch, konnte aber meine EcoFlow nicht laden, weil sie dort in dem Camp über nullkommanull Strom verfügten. Das Camp war jetzt nicht gerade klein, wie geht das? Warum hatte man keine Photovoltaik, kein Windrad, nichts? Weil man es nicht brauchte? Ich habe es nicht herausbekommen. Sie schickte jedoch einen Mitarbeiter zu einem Nachbarn, etliche Kilometer weiter, der mir dann meine EcoFlow laden sollte. Mobilphone etc. hatten sie aber. Wie wurden diese geladen? Ach so, dafür gab es eine alte Autobatterie, die wohl einmal im Monat ebenfalls zu dem Nachbarn zum Aufladen gebracht wurde. Kann man so machen. Das erklärte natürlich ein wenig das Chaos vom Jahr zuvor.
Wir sind dann sehr nett ins Gespräch gekommen. Sie fragte uns ganz viel über Marrakesch, offenkundig für sie der Nabel der Welt, sie sei ja schon einmal dort gewesen, ihr Mann habe es aber nicht so gut gefunden. Kein Wunder. Wir sprachen über Musik und Mode, echt jetzt, ich auch. Sie liebte die Dire Straits. Guter Geschmack! Und dann berichtete sie von ihrer Angst, dass das mit dem Abendessen für so viele Personen „in die Hose“ gehen könnte. Scheinbar gibt es da in der arabischen Sprache eine ähnliche Redewendung, denn ihre Zeichensprache wies eindeutig darauf hin. Auf englisch drückte sie sich anders aus. Im letzten Jahr seien dann etliche Essen nicht bezahlt worden und sie habe Ärger mit ihrem Mann bekommen. Ob ich ihr denn ein wenig organisatorisch helfen könne. Klar, kein Problem.
Nach und nach trudelte der Großteil der anderen Teilnehmer ein, nur von den Offroad-Fahrern absolut keinerlei Spur. Die waren aber schon 8 1/2 Stunden unterwegs und nicht einmal die Bikes waren zu sehen. Heavy. Ich nahm die Bestellungen auf, was nicht so schwierig war, denn es gab nur 1 Gericht. Ich konnte die Bestellungen aber mit Namen versehen. Die brauchte sie dann später nur abzuhaken, wenn das Essen geliefert war und einen zweiten Haken setzen, wenn es auch bezahlt war. Dann versuchte ich, die Wüstenfahrer zu erreichen. Null Empfang, null Kontaktmöglichkeit. Null reale Ortung des Standortes. Aber das war ja vorher klar, weil eben auch teilweise militärisches Sperrgebiet und keine Funkmasten. Im Grunde hat Marokko aber trotz der Gebirge eine deutlich bessere Netzabdeckung als Deutschland. Beschämend. Ich habe dann auf mein Risiko 8 Essen für einige Bike-Fahrer mit geordert und gehofft, das sie auch noch kommen und nicht in der Wüste übernachten müssen, was durchaus im Bereich des Möglichen lag.
Lange Rede, kurzer Sinn: Kurz vor dem Dunkelwerden kamen die ersten und besten Biker aus der Wüste und bogen gleich Richtung Stadt ab, Tanken und Getränke fassen. Absprache per WhatsApp, klar, sie würden mitessen. Wann fertig? Na gleich, weil vorbestellt. Geil, wir beeilen uns. Quintessenz: Alle bekamen ihr Essen pünktlich, kaum Wartezeiten. Und jeder hat bezahlt. Frau glücklich, Ehemann glücklich, weil plötzlich reich. Pro Person 10 Euro incl 1 Literflasche Cola plus 1 Liter Wasser, eine riesige Taijine mit Hühnchen und Gemüse pro Person und Dessert (ich glaube, es war Obst). Das hätte auch locker für 2 Personen gereicht. Optimierungspotential für nächstes Jahr bzw. andere Veranstaltungen. Nahezu alle Gruppen, jede Rallye machten dort Station. Zahlreiche Aufkleber etc. zierten die durchaus abenteuerliche Toilettenanlage von außen. Keine Details. Jedenfalls ging es nicht ohne Taschenlampe oder Kerze, weil eben ohne Strom kein Licht.
Ich war auch glücklich. Denn meine neu gewonnene Freundin (mit Erlaubnis ihres Ehemannes) spielte auf einmal über ihr Mobilphone (altes iPhone) und einen Bluetooth-Lautsprecher, den sie wohl auch über die Autobatterie lud, „Sultans of Swing“ von den Dire Straits in ziemlicher Lautstärke und begann „westlich“ zu tanzen. Das war ihrem Ehemann sichtlich unangenehm. Als dann noch ein Scheich mit seinen 3 Frauen und 12 Kindern kam, er hatte sich offenkundig vorher angesagt, war es vorbei mit der Herrlichkeit und Madame verschleierte wieder ihr Gesicht. Ich hatte mich schon gewundert, für wen die ganzen Teppiche und Liegekissen da in den Sand gelegt worden waren. Denn für uns war das nicht. Er bekam dann auch ne Chicken-Taijine. Es war ein begnadeter Abend.
Und was war mit den vermissten Wüstenfahrern? 5 oder 6 Autos mussten in der Wüste im Dachzelt übernachten. Die Sandverwehungen waren dann doch zu heftig, um da problemlos durchzukommen. Sie wurden aber begleitet von 2 oder 3 weiteren Crew-Fahrzeugen in Geländewagen, davon 2 vom Motorsportclub in Laayoune. Einige Motorradfahrer haben es auch nicht bis zum Camp geschafft, weil sie körperlich am Ende waren. Schließlich kamen aber alle wohlbehalten am nächsten Morgen ins Camp.