Schön ist es, wenn man einen beruflichen Anlass mit ein wenig privatem Vergnügen verbinden kann. Es ist doch schon einige Zeit her gewesen, dass ich/wir diese Stadt besucht hatten. Ich hatte dazu in 2011 mal einen Beitrag über vergangene Besuch veröffentlich. Ja, es hat sich einiges verändert … und leider nicht unbedingt zum Vorteil, aber der Reihe nach:
Ryan Air fligt den Flughafen von Treviso an, das liegt etwa 40 Minuten Busfahrt von den Haltestellen der Wassertaxis entfernt. Man ist kaum länger unterwegs als von dem näher gelegenen Flughafen Marco Polo. Pro Person Hin- und Rückflug incl. aller Gebühren für 59€. Da kann man sich dann auch mal ein verlängertes Wochenende erlauben. Hinweis: Der Transfer schlägt nochmals pro Person mit 18€ zu Buche (Rückfahrticket), dann kostet ein 72-Stunden-Ticket für das Vaporetto weitere 35€ pro Person. Wenn man sich nicht nur am Markusplatz aufhalten will und auch mal die Peripherie oder andere Inseln besuchen will, ist das Ticket zwingend, ansonsten wird man arm, 7€ pro Stunde.
Wir haben uns diesmal auf Empfehlung meiner Geschäftspartner im Stadtteil Lido ein Hotel gesucht, das ist überhaupt kein Vergleich zu dem Rummel, der in anderen Stadtteilen tagtäglich herrscht. Da gibt es sogar auch Autos und einen Strand mit typisch norditalienischer Bewirtschaftung, dies natürlich zu exorbitanten Preisen, aber es gibt auch offene Strandabschnitte, die man allerdings suchen muss.
Edit: Nicht die Hotels, sondern der Strand ist teuer. Die Hotels sind im Gegensatz zu den Hauptinseln sogar vergleichsweise preiswert. Dort bekomme ich ein echtes 4-Sterne-Hotel mit Klimaanlage für weniger Geld als in dem Touristenrummel eine einfache herunter gerockte Pension mit Klo und Dusche auf dem Flur. Tipp: Bei booking.com sehr sauber vergleichen, ob mit oder ohne Frühstück, nachbuchen geht nicht oder nur für 15-20€ pro Person, die spinnen doch alle. Obwohl das dort alles Endpreise sein sollen, also incl. Kurtaxe oder so, kommt dann zu dem Hotelpreis immer noch eine sog. Citytax dazu. War für 2 Personen und 3 Übernachtungen auch 21,70€. Die Italiener sind ja im Erfinden von Sondergebühren Weltmeister, angefangen mit dem coperto, also dafür, dass sie einem das Besteck hinlegen und nen Brotkorb hinstellen, weiter mit den contorni, also die Beilagen zu dem Essen, die man extra bezahlen muss bis hin eben zu der citytax, die haben eine Meise! Die Italiener haben die Campingplatzpreise so in die Höhe getrieben, dass man in der Hochsaison in Sardinien bei über 100€ landet, weil Kinder ab 8 Jahren als Erwachsene zählen, dafür sind aber die Schaumpartys, die keine Sau braucht, inklusive. Ja, ich liebe das Land, aber manchmal macht es einem das richtig schwer. Da hilft es dann auch nicht, wenn man eingeladen wird.
Leider stimmt die Aussage aus meinem letzten Beitrag, wonach Venedig ein Einkaufsparadies ohne allzu viel Billig-Ware aus China sei, nicht mehr. Einheimische berichteten uns, dass zwischenzeitlich eine nennenswerte Anzahl der Läden im Haupteinfallsbereich der (Tages-) touristen, jedenfalls im Umfeld der Rialtobrücke und des Markusplatzes fest in asiatischer Hand sind. Die Dame Venezia respektive die Stadtoberen hat sich selbst zum Missbrauch durch die Massen preisgegeben, dies offenbar aus dem Grunde, um die immensen Kosten der Anlagen wieder einzuspielen, die zur Sicherung gegen Hochwasser pp. in Planung bzw. Ausführung sind. Die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe, die Venedig täglich anlaufen oder die sogar Venedig als Start- und/oder Zielhafen benutzen, ist sehr groß. Dadurch wird die gesamte Logistik der Stadt völlig überfordert, ich war sehr erschrocken.
Da ich weder Menschen noch Städten beim Sterben zuschauen möchte, haben wir uns – wie gesagt – u.a. auch in Murano aufgehalten, eine wunderschöne Insel in der Lagune, berühmt durch die diversen Glasfabriken, die wegen der Brandgefahr im Mittelalter, die mehrfach Teile von Venedig in Schutt und Asche gelegt hatte, dann auf die Insel ausgelagert worden sind. Mittlerweile dürften die Mehrzahl der interessierten (West-) Europäer ihren Bedarf an Kitsch und/oder Kunst nach klassischen Vorbildern gedeckt haben, der Kundenstamm rekrutiert sich nach entsprechenden Angaben aus vermögenden Asiaten, Osteuropäern und tatsächlich immer noch Amerikanern, die auch jeden Preis zu zahlen bereit und in der Lage sind. Es herrscht wohl immer noch der Irrtum vor, man könne sich Geschichte kaufen, sei es Geschichte des Landes oder des Unternehmens oder der Familie. Das sieht man ja auch daran, dass auf internationalen Auktionen mittlerweile jeder noch so obszöne Preis für irgendwelche Gemälde irgendwelcher namhafter alter Künstler bezahlt werden, die dann in irgendwelchen anonymen Konferenzräumen oder Wohnzimmern für immer der Öffentlichkeit verloren gehen. Insoweit sei es all diesen Damen und Herren vergönnt, mehr oder weniger schön geformten in Glas umgewandelten Sand für teures Geld abzuschleppen, wegen mir tonnenweise.
Leider geht dabei das Gefühl für Schönheit und Eleganz – eben die alte Glasbläserkunst – mehr und mehr verloren. In den Ausstellungsräumen der Glasfabriken hingen die gleichen wenn nicht gar dieselben Lampen wie vor 10 Jahren und da war es schon schwer genug für uns, einen Kronleuchter zu finden, der eben mit alten klassischen Stilelementen auch in die heutige Zeit passt. Nicht einmal die haben wir wieder gefunden. Aber es gibt auch positive Nachrichten: In Murano (und auch Burano) entsteht eine Szene mit jungen Designern, die sich der alten Glasbläserkunst verschrieben haben, neue Modelle entwickeln, ganz andere Anwendungsbereiche finden und damit das alte Handwerk wieder zukunftsfähig machen. Sicher wird es die eine oder andere Fabrik nicht überleben, das ist dann halt so. Aber aus und in einer alten Fabrik siedeln sich dann viele kleinere Produzenten an, die regelrecht begeistern können und zwar nicht nur sich selbst oder potentielle Kundschaft, sondern auch die Alten auf der Insel, die durchgesetzt haben, dass die „jungen Wilden“ auch in der Öffentlichkeit wahgenommen werden, in dem ihnen exponierte Ausstellungsplätze zur Verfügung gestellt werden etc. Ein grandioses Kunstwerk heißt „Die Geburt des Kometen“, frei übersetzt aus dem Italienischen. So haben dann auch wir letztlich eine Lampe gefunden, nachdem jetzt 8 Monate im Wohnbereich eine Glühbirne hing …
Ich mag die kleinen Gassen und Kanäle, wo tatsächlich noch das Gemüse aus dem Boot heraus an die anliegenden Restaurants verkauft wird. Da bin ich auch bereit, mal ein paar Euro mehr auszugeben. Gerade in Murano haben wir sehr gut und preislich auch akzeptabel gegessen, angefangen von einer Gemüse- und Fischlasagne zur Vorspeise … usw., natürlich würde nie ein wirklicher Italiener nicht perfektes Olivenöl und Balsamico-Essig zu dem ausgesucht frischen Salat beistellen oder etwa Weißwein servieren a la casa, der nicht perfekt gekühlt und leicht moussierend die Visitenkarte seines Lokales widerspiegelt und das Ganze für 4€ den mezzo litro. Einen Espresso im Stehen a banca für 1€ oder a tavola (im Sitzen am Tisch) für 1,50€, im Restaurant für 2€ – das passt. Würde der mehr nehmen, käme da kein Einheimischer mehr hin.
Eine ganz andere Welt stellt wiederum das alte Venedig dar, auf der Seufzerbrücke sieht man sich nach Ghana versetzt und wehe, man stolpert über eine der gefaketen Handtaschen, die mitten im Weg ausgelegt werden. Die Händler in Ägypten und Tunesien oder im Kernland deutscher Pauschalurlauber – die Region Side/Alanya in der Türkei – sind da noch höflich zurückhaltend dagegen. Brauche ich das?
Letztlich wollen alle noch einmal …, bevor die Dame Venezia den Löffel abgibt. Ja, ich gönne denjenigen, die in Venedig einen Liebeskasper-Urlaub verbringen wollen in Bedienung sämtlicher bekannter Vorurteile genau das einschließlich Gondelfahrt und Kaffee auf dem Markusplatz. Ich erkenne meine frühere heimliche Geliebte Venedig nicht mehr wieder, aber ich hege die Hoffnung, dass Venezia auch diese Phase überleben wird wie andere Phasen der Zerstörung und des Niederganges auch. Totgesagte leben bekanntlich länger. Da bekommt der Blick auf die Seufzerbrücker dann für mich noch eine andere Dimension.
Da ich aber auch verzeihen kann (und will), suche ich mir als Leser des Verschwörungstheoretikers Dan Brown (Da Vinci Code) natürlich Symbole, die meine Hoffnungen bestätigen und oh Wunder, ich finde sie (natürlich) auch: Zunächst einmal den allgegenwärtigen Löwen von San Marco, der seine Pranke auf einem aufgeschlagenen Buch mit der Inschrift PAX TIBI MARCE EVANGELISTA MEUS liegen hat. Was anderes als eine friedvolle Zukunft soll dies bedeuten? Dann sehe ich noch Justizia, die Göttin der Gerechtigkeit, Interpretation überflüssig, 2 Mohren auf dem berühmten Uhrturm an der Glocke, einen Schotten und eine Blondine. Ich sag jetzt mal, dass die Blondine den Schotten => Dudelsack, bis die Glocken klingen und die Mohren vertreibt … Aber es sind natürlich viele andere Interpretationen – auch politisch korrektere – möglich.
Aber es gibt natürlich auch wieder sehr versöhnliche Ansichten, wenn man der Insel Burano einen Besuch abstattet. Das vielfach überzogen benutzte Wort pittoresk versinnbildlicht tatsächlich am besten die Eindrücke, die man dort erlebt. Ich lasse einfach mal Bilder sprechen …
Burano ist die Insel des textilen Kunsthandwerkes, es gab nicht viele Regionen in Europa, die „Klöppeln“ und „Spitze“ so meisterhaft beherrscht/hergestellt (und bewahrt) haben wie diese. Mir fallen dazu nur Plauen im Vogtland und Brüssel ein. Ich könnte leider Romane über den Niedergang der (ost-) deutschen Textilindustrie im allgemeinen und der Plauener Spitze im besonderen schreiben, ich habe diese maßgeblich beruflich miterleben müssen, aber das war nicht der Grund meines Besuches dort. Wenn man aber weiß und gesehen hat, wie die Produktion früher per Hand und maschinell betrieben wurde und das heute dort wieder sieht, den Kampf ums Überleben kennt und die verzweifelten Versuche, den Besuchern den Unterschied zu erklären zu der ebenfalls dort angebotenen Chinaware, dann drückt man alle Daumen, dass dieser Kampf zu einem guten Ende gelangen kann. Jedenfalls habe ich auch dort vielversprechende Ansätze gesehen, den Wandel zu meistern. Der Vorteil gegenüber anderen Regionen – ich beziehe mich jetzt nicht nur auf diese Branche – besteht darin, dass es sich überwiegend um Familienbetriebe handelt, die in seit Generationen bezahltem Immobilieneigentum residieren und ihr Einkommen eben auf mehrere Standbeine gestellt haben: Die Mutter verkauft Tischdecken in 4m-Länge aus Wildseide mit Leinen, versehen mit Spitzenapplikationen, der Bruder betreibt ein Restaurant und die Tochter einen Andenkenladen, der Opa fährt Wassertaxi usw. Das scheint zu funktionieren.
Abschließend noch ein paar Bilder, die dann doch zur Wiederkehr einladen wollen/sollen. Wir werden auch wieder kommen, vielleicht nicht gleich morgen, aber auch nicht wieder mit einem so großen zeitlichen Abstand. Wir werden in andere Bereiche eintauchen, z.B. das Thema „Biennale“ hatten wir bisher noch nicht für uns entdeckt. Auch das Thema „Einkaufen“ werden wir sicher nochmals bedienen, nicht in einem der zahlreichen Läden von Designerklamotten, die bekommt man allemal besser und günstiger in Wertheim-Village nahe Würzburg. Nein, es geht tatsächlich um venezianisches Kunsthandwerk. Was da jenseits von Kitsch und Trödel teilweise angeboten wird, ist wirklich ausgesprochen schön.