Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18.06.2015, Az. 7 U 143/14
Stürzt ein Motorradfahrer auf Rollsplitt im Kurvenbereich einer Gemeindestraße, haftet die Gemeinde für seine Schäden, wenn sich kein Warnhinweis unmittelbar vor der Unfallstelle befindet. Allerdings muss sich der Motorradfahrer ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn ein paar Kurven vor der Unfallstelle ein Gefahrstellenschild gestanden hat. Dies hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vor kurzem entschieden und eine Haftung der Gemeinde für 2/3 der Schäden angenommen.
Zum Sachverhalt: Die beklagte Gemeinde ließ auf einer Gemeindestraße Straßenausbesserungsarbeiten durch ein beauftragtes Unternehmen durchführen. Das Unternehmen verwendete unter anderem Rollsplitt. Knapp eine Woche nach Beendigung der Arbeiten ließ es die zuvor aufgestellten Warnschilder „Splitt“ und „Rollsplitt“ entfernen. Es verblieb lediglich ein Warnschild (Zeichen 101 Gefahrstelle), das mehrere Kurven vor der Unfallstelle aufgestellt war. Der Geschädigte befuhr mit seinem Motorrad Yamaha bei Tageslicht die Straße und stürzte im Bereich einer rechten Kurve auf Rollsplitt. Er hatte beim Verlassen des Kurvenbereichs sein Motorrad beschleunigt. Er erlitt unter anderem Verletzungen an der Hand und am Knie und wurde in der Folge dreimal operiert. Er verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld von der Gemeinde.
Aus den Gründen: Die Gemeinde haftet als Träger der Straßenbaulast auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Auch wenn sie die konkret durchzuführenden Arbeiten auf ein anderes Unternehmen übertragen hat, behält sie ihre Aufsichts- und Überwachungspflichten, die sie hier verletzt hat. Denn das beauftragte Unternehmen hat nach Durchführung der Bauarbeiten die auf Rollsplitt hinweisenden Schilder mit Ausnahme des Schildes ein paar Kurven vor der Unfallstelle unmittelbar vor dem Unfall abbauen lassen. Der Rollsplitt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Weise beseitigt, dass keine Gefährdung der Verkehrsteilnehmer mehr bestand.
Jedoch trifft den Motorradfahrer haftungsrechtlich ein Mitverschulden. Das Mitverschulden ergibt sich aus der von dem Motorrad ausgehenden Betriebsgefahr, die durch einen Fahrfehler des Motorradfahrers erhöht wurde. Denn der Motorradfahrer hat sein Motorrad im Kurvenbereich zum Beschleunigen hochgeschaltet und damit eine vermeidbare Gefahrerhöhung geschaffen. Zwar war der auf der Straße befindliche Rollsplitt für den Motorradfahrer vor und bei Befahren der Rechtskurve optisch nicht erkennbar. Jedoch hätte für den Motorradfahrer das ein paar Kurven vor der Unfallstelle auf eine Gefahrenstelle hinweisende Verkehrszeichen Anlass sein müssen im Bereich der Rechtskurve das Motorrad nicht zu beschleunigen. Das Schild hätte Warnung sein müssen, dass auch mit einigem zeitlichen Abstand noch Gefahrenstellen auftreten können. Zudem war aufgrund des optischen Eindrucks für den Benutzer der Straße erkennbar, dass im Unfallbereich Ausbesserungsarbeiten stattgefunden hatten, die zu besonderer Vorsicht hätten Anlass geben müssen. Denn der ausgebesserte Bereich war deutlich dunkler gefärbt als der übrige Straßenbelag.
Das Mitverschulden des Motorradfahrers führt zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zu seinen Lasten und 2/3 zu Lasten der Gemeinde. Neben 2/3 der materiellen Schäden unter anderem an Helm und Motorrad erhält der Motorradfahrer ein Schmerzensgeld in Höhe von 4000 Euro.
Dr. Christine von Milczewski
Richterin am Oberlandesgericht
Pressesprecherin
Erscheinungstag: 15.07.2015