Nachfolgend ein Beitrag vom 8.8.2018 von Krenberger, jurisPR-VerkR 16/2018 Anm. 5
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Stützt das Gericht ein Fahrverbot auf die Indizwirkung des Bußgeldkatalogs, so muss das Urteil keine Feststellungen dazu treffen, ob im konkreten Fall eine konkrete Gefährdung ausgeschlossen war.
2. Der Ausdruck „Augenblicksversagen“ beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Verletzung gegeben sind.
A. Problemstellung
Das KG musste als Rechtsbeschwerdegericht prüfen, ob das Fahrverbot gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet worden war.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines qualifizierten fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 250 Euro samt Fahrverbot mit Schonfrist verurteilt. Das KG hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts verworfen.
Liegen – wie hier – die Voraussetzungen der BKatV vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, so ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers i.S.d. § 25 StVG auszugehen; sie ist in diesen Fällen bereits indiziert (tatbestandsbezogene Vermutungswirkung). Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots wegen Wegfalls des Erfolgs- oder Handlungsunwerts kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat (z.B. atypischer Rotlichtverstoß wegen Ausschlusses einer Gefahrenlage) oder in der Persönlichkeit des Betroffenen (z.B. Augenblicksversagen beim Rotlichtverstoß) offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt.
Die Urteilsfeststellungen zeigen keine Verkehrssituation auf, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten. Dass eine abstrakte Gefährdung nicht bestand, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Bei Schaffung der Vorschriften über die Missachtung von Wechsellichtzeichen (Nr. 130 ff. BKat) war der Verordnungsgeber der Auffassung, bei Kreuzungsampeln sei eine abstrakte Gefährdung grundsätzlich zu unterstellen. Als besonders gefährlich hat er Verstöße eingestuft, wenn das Rotlicht die Einfahrt in die Kreuzung schon länger als eine Sekunde sperrt. Entsprechendes gilt freilich auch für das Befahren eines mittels Wechsellichtzeichen geregelten, aus mehreren Einmündungen bestehenden, mehrspurigen innerstädtischen Kreisverkehrs. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall eine konkrete Gefahr ausgeschlossen war.
Der Ausdruck „Augenblicksversagen“ beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Verletzung gegeben sind. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen. Soweit der Betroffene hier vorgebracht hat, das für ihn maßgebliche Rotlicht nicht gesehen zu haben, musste er beim Befahren des Großen Sterns dort mit einer Verkehrsregelung durch Wechsellichtzeichen rechnen. Die fehlende Ortskenntnis des Betroffenen ist kein Umstand, der einen groben Verkehrsverstoß in einem milderen Licht erscheinen lässt. Wer sich nicht auskennt, witterungsbedingt beeinträchtigte Sicht hat oder ein fremdes Fahrzeug führt, muss das durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht ausgleichen. Zudem gilt, dass von einem Kraftfahrzeugführer, der in den durch Wechsellichtzeichen geschützten Bereich einer belebten innerstädtischen Kreuzung mit mehreren Fahrspuren einfährt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit verlangt werden muss.
C. Kontext der Entscheidung
Das KG exerziert hier vorbildlich die Prüfungsschritte für den Tatrichter auf der Rechtsfolgenseite durch. Dabei ist dessen Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Anordnung der Rechtsfolgen seitens des Rechtsbeschwerdegerichts bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (KG, Beschl. v. 12.04.2017 – 3 Ws (B) 31/17 – NZV 2017, 340; OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2008 – 2 Ss OWi 29/08 – NZV 2008, 306; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.04.2001 – 3 Ss 6/01 – NStZ-RR 2001, 278). Die Vorbewertung durch BKatV und Bußgeldkatalog ist bei der Frage, ob ein Fahrverbot anzuordnen ist, vom Tatrichter zu berücksichtigen. Die Annahme eines Ausnahmefalles ist nachvollziehbar darzustellen (KG, Beschl. v. 12.04.2007 – 3 Ws (B) 31/17; KG, Beschl. v. 22.09.2004 – 3 Ws (B) 418/04 – VRS 108, 286). Die abstrakte Gefährdung ist bei Rotlichtverstößen stets anzunehmen, nicht nur an Kreuzungen, sodass es auf eine konkrete Gefahr nicht ankommt. Schließlich wird das Augenblicksversagen (vgl. BGH, Urt. v. 08.07.1992 – IV ZR 223/91 – BGHZ 119, 147; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.03.2014 – IV-1 RBs 183/13 – DAR 2015, 213) definiert und subsumiert, sodass die Prämisse für den Betroffenen, dass er sich bei Unklarheiten oder Unsicherheiten nicht auf das Augenblicksversagen berufen kann, sondern vielmehr erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen muss, zu Recht in den Vordergrund gestellt. Wird trotz dieser Anforderungen das Rotlicht missachtet, liegt normalerweise keine leichte Fahrlässigkeit vor, die aber für ein Augenblicksversagen Grundvoraussetzung wäre (BayObLG, Beschl. v. 27.06.2002 – 1 ObOWi 244/02 – VRS 103, 390).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die strenge Rechtsprechung zum Augenblicksversagen wird fortgesetzt und sorgt so dafür, dass eine Ausnahme auch eine solche bleibt. Könnte jede Unsicherheit im Straßenverkehr durch Augenblicksversagen gerettet werden, würde das Bußgeldsystem ad absurdum geführt.
Hinweisen möchte ich – wie immer – auf den Umstand, dass Fälle wie das erwähnte Augenblicksversagen oder das Fehlen einer gefährlichen Situation kein „Absehen“ vom Fahrverbot darstellen, sondern dies einen ermessensunabhängigen Wegfall des Fahrverbots bzw. ein Anordnungshindernis darstellt. Das ermessensabhängige „Absehen“ ist lediglich in § 4 Abs. 4 BKatV geregelt.