Nachfolgend ein Beitrag vom 12.12.2018 von Schwartz, jurisPR-VerkR 25/2018 Anm. 3
Orientierungssatz zur Anmerkung
Widersprüchliche oder unvollständige Angaben in einem Schadensanzeigeformular können eine Nachfrageobliegenheit des Versicherers insbesondere dann auslösen, wenn das Formular keinen Raum für eine differenzierte Beantwortung von Fragen bietet.
A. Problemstellung
Der Hinweisbeschluss betrifft unter anderem die Frage, ob der Kaskoversicherer von seiner Leistungspflicht nach einem Diebstahl des Kfz deshalb frei geworden ist, weil der Versicherungsnehmer bei der Schadensanzeige falsche Angaben gemacht hat und dadurch gegen eine vertraglich vereinbarte Obliegenheit verstoßen hat. Weiterhin befasst sich der Beschluss mit der Frage, ob eine Leistungsfreiheit gemäß § 81 VVG wegen Herbeiführung des Versicherungsfalls in Betracht kommt, sowie mit dem Einwand der Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung gemäß § 26 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 VVG.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Oberlandesgericht weist durch Beschluss darauf hin, dass die Berufungsbegründung des Beklagten Kfz-Kaskoversicherers im Wesentlichen nicht überzeugend sei und regt daher an, die Berufung nicht durchzuführen. Soweit die Berufung geltend mache, der Kläger habe hinsichtlich des Haftpflichtschadens aus dem Jahr 2012/2013 im Schadensformular arglistig falsch behauptet, der Schaden sei behoben, sei dies nicht überzeugend. Die Berufung erfasse die Fragen in der Schadensanzeige und die dazu von dem Kläger gemachten Angaben nicht zutreffend. Der Kläger habe sowohl den „1. Blechschaden Fahrerseite links 2012/2013“ als auch den „2. Frontschaden, Rechnung wird nachgereicht, 13.12.2015“ angegeben. Bei der anschließenden Frage: „Wurden alle Unfallschäden sach- und fachgerecht behoben? (Bitte Reparaturbelege beifügen)“ wäre ein „Ja“ oder „nein“ anzukreuzen. Der Kläger habe das „Ja“ angekreuzt, wie die Berufung einwende. Raum für eine differenzierte Darstellung sei in dem Formular allerdings nicht vorhanden, insbesondere nicht für die Darstellung der Schadensbehebung nach den jeweiligen Unfällen. Handschriftlich habe der Kläger hinzugefügt, „Schaden 2, Schaden 14.000 Euro reguliert“. Etwas weiter unten zu Ziffer 4 sei nach den sonstigen Schäden und Mängeln gefragt sowie danach, ob diese Schädigungen/Mängel fachgerecht beseitigt seien. Der Kläger habe hier allerdings nicht zu sonstigen Schäden Ausführungen gemacht, sondern nähere Erklärungen zu dem Unfallschaden vom 13.12.2015: „Schaden 2. behoben liegt bereits vor“. Damit ergebe sich schon aus dem Gesamtkontext hinreichend, dass der Kläger erklären wollte, der Schaden 2 sei behoben, der Schaden 1 (lediglich) mit einer Zahlung reguliert. Sollte der Beklagten sich dieser Zusammenhang nicht erschlossen haben (der sich im Übrigen auch aus dem Gutachten ergebe), so habe sie nachfragen müssen und dazu auch hinreichend Anlass gehabt.
Soweit die Berufung rüge, mangels Angabe des Defekts des Zündschlosses im Schadenformular seien ihr keine verlässlichen Feststellungen im Hinblick auf die Behauptung des Klägers möglich gewesen, das Fahrzeug habe sich mit einem Schraubendreher starten lassen, werde nicht beachtet, dass für eine Überprüfung der Behauptung eine Untersuchung des Fahrzeuges notwendig sei. Diese sei allerdings schon deshalb nicht durchführbar, weil das Fahrzeug nicht zur Verfügung stehe, da es gestohlen sei. Die Unterlassung habe also im Hinblick auf die vom Kläger bezüglich des Startens aufgestellte Behauptung die Beweissituation der Beklagten nicht verschlechtert.
Bezüglich des Vorwurfs der Herbeiführung des Versicherungsfalles sei es nicht ausreichend, dass ein defektes Zündschloss zu einer Erleichterung des Diebstahls führen könne. Es müssten vielmehr im Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich dieser Defekt im konkreten Fall auch tatsächlich ausgewirkt habe. Ob der Täter den Schaden am Zündschloss überhaupt erkannt und ihn sich zunutze gemacht habe, sei völlig offen. Erst recht ließen sich keine Feststellungen dazu treffen, ob der Diebstahlsentschluss des Täters und seine Umsetzung in irgendeiner Weise von dem Defekt des Zündschlosses abhingen. Dagegen spreche schon die einfache Überlegung, dass derjenige Täter, der erkenne, dass das Zündschloss defekt sei und sich das Fahrzeug aufgrund dieses Defektes nunmehr mit einem Schraubendreher starten lasse, über ein hinreichendes Wissen darüber verfügen dürfte, wie man ein nicht defektes Zündschloss überwinden könne.
Weiterhin weist das Oberlandesgericht darauf hin, dass auch der Einwand der Berufung, das Landgericht habe zu Unrecht die Kenntnis des Versicherers von dem gefahrerhöhenden Umstand des defekten Zündschlosses festgestellt und damit dann die Versäumung einer rechtzeitigen Kündigung begründet, nicht zutreffend sei. Die Beklagte habe bereits mit einem Gutachten zu einem Vollkaskoschaden vom 13.12.2015 Kenntnis von dem gefahrerhöhenden Defekt des Zündschlosses erlangt. In dem Gutachten sei das „ausgerissene Zündschloss“ ausdrücklich aufgeführt. Die Beklagte habe entgegen der Ansicht der Berufung bei der Regulierung des Kaskoschadens vom 13.12.2015 auch Anlass gehabt, die in dem Gutachten aufgeführten Vorschäden zur Kenntnis zu nehmen, weil die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes bei der Regulierung ein wesentlicher Punkt gewesen sei. Es spreche daher alles dafür, dass der in dem Gutachten benannte Vorschaden von der Beklagten auch tatsächlich zur Kenntnis genommen worden sei. Das Oberlandesgericht gehe davon aus, dass die Beklagte ein Gutachten auch lese, bevor sie reguliere.
C. Kontext der Entscheidung
Der Versicherungsnehmer hat den Versicherungsfall, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen, § 30 Abs. 1 Satz 1 VVG. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG kann der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist (vgl. zum Rechtscharakter der §§ 30, 31 VVG als rechtsfolgenloses „lex imperfecta“ und zur Übernahme einer solchen nur tatbestandlich geregelten gesetzlichen Obliegenheit in den Versicherungsvertrag bzw. AVB als vertragliche Obliegenheit mit Rechtsfolgen: Wandt in: Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 6. A., Kap. 1, Rn. 568).
Wie auch im Rahmen der Anzeigepflicht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2011 – IV ZR 148/09 Rn. 13; BGH, Urt. v. 05.03.2008 – IV ZR 119/06), besteht nach h.M. auch hinsichtlich der Auskunftspflicht gemäß § 31 Abs. 1 VVG eine Nachfrageobliegenheit des Versicherers, wenn Antworten des Versicherungsnehmers erkennbar lückenhaft, unklar oder widersprüchlich sind (Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, § 31 Rn. 24; a.A. Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. § 31 VVG Rn. 19 mit der Erwägung, dass im Hinblick auf die Belehrungspflicht gemäß § 28 Abs. 4 VVG der Versicherungsnehmer wisse, dass seine Angaben vollständig und richtig sein müssten; für einen „Verzicht“ des Versicherers auf korrekte Angaben gebe es – anders als beim Vertragsschluss trotz Nichtbeantwortung von Fragen – keinerlei Hinweise).
Auf Rechtsfolgen, insbesondere vertraglich vereinbarte Leistungsfreiheit (vgl. E.2.1 AKB 2015 i.V.m E.1.1.3 AKB 2015) wegen Verletzung der Auskunftsobliegenheit, kann sich der Versicherer nach Treu und Glauben danach nicht berufen, wenn er es versäumt hat, auf eine Ergänzung oder Vervollständigung der Angaben des Versicherungsnehmers hinzuwirken (Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, § 31, Rn. 24 m.w.N.; OLG Brandenburg, Urt. v. 27.06.2007 – 4 U 171/06 Rn. 38). Insbesondere wenn sich aus einer formularmäßig gestalteten Schadenanzeige Widersprüche oder offenkundige Unrichtigkeiten ergeben, obliegt es dem Versicherer, diesen durch Nachfragen nachzugehen (OLG Brandenburg, Urt. v. 27.06.2007 – 4 U 171/06 Rn. 39; BGH, Urt. v. 06.11.1996 – IV ZR 215/95 Rn. 10; OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.02.2003 – 12 U 204/02 Rn. 12). Dies soll auch dann gelten, wenn der Versicherer zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung bereits aus anderer Quelle sichere Kenntnis darüber hat, dass die Angaben des Versicherungsnehmers unrichtig sind (BGH, Urt. v. 26.01.2005 – IV ZR 239/03 Rn. 22; OLG Hamm, Urt. v. 18.02.2000 – 20 U 68/99 Rn. 17; OLG Brandenburg, Urt. v. 27.06.2007 – 4 U 171/06 Rn. 41; a.A. Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. § 31 VVG Rn. 20; vgl. auch BGH, Urt. v. 17.01.2007 – IV ZR 106/06 wonach eine Uniwagnis-Dateiabfrage vor der unrichtigen Auskunft des Versicherungsnehmers keine Nachfrageobliegenheit auslöst). Erfolgt eine Rückfrage, so kommt eine Leistungsfreiheit nur in Betracht, wenn die gebotene wahrheitsgemäße Klarstellung unterbleibt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.02.2003 – 12 U 204/02 Rn. 12).
Die Nachfrageobliegenheit hat nach der Rechtsprechung des BGH zu § 19 VVG aber auch eindeutige Grenzen. Sie ist insbesondere nicht dazu bestimmt, die Wahrheitsliebe des Versicherungsnehmers zu überprüfen. Hat der Versicherungsnehmer bei Antragstellung ausdrückliche und hinreichend klare Fragen zumindest für einen bestimmten Zeitraum unzutreffend beantwortet, so besteht kein Anlass für ergänzende Rückfragen, weil die Risikoprüfung nicht der Prüfung der Wahrheitsliebe des Versicherungsnehmers dient (BGH, Urt. v. 03.05.1995 – IV ZR 165/94 Rn. 15). Eine Nachfrage obliegt dem Versicherer erst dann, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bisher von dem Versicherungsinteressenten erteilten Auskünfte nicht abschließend oder nicht richtig sein können und deshalb weitere Informationen für eine sachgerechte Risikoprüfung erforderlich sind (so BGH, Urt. v. 11.05.2011 – IV ZR 148/09 Rn. 14). Die Angabe des Versicherungsnehmers, er leide seit Geburt an Neurodermitis, führt nicht dazu, dass sich dem Versicherer aufdrängen müsste, dass die Frage nach ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen in den letzten fünf Jahren unzutreffend beantwortet wurde, weil der Versicherungsnehmer unter weiteren Erkrankungen leidet, wegen derer er in ärztlicher Behandlung war (BGH, Urt. v. 11.05.2011 – IV ZR 148/09).
Der BGH hat zudem erkannt, dass die Nachfrageobliegenheit im Rahmen der Auskunftspflicht nach einem Schadensfall nicht in demselben Umfang besteht, wie im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit (BGH, Urt. v. 17.01.2007 – IV ZR 106/06 Rn. 22): Aus dem Grundgedanken der Aufklärungsobliegenheit folge vielmehr, dass es Sache des Versicherungsnehmers sei, die ihm bekannten Umstände von sich aus vollständig zu offenbaren, nicht aber Sache des Versicherers, durch Nachforschungen das zu ermitteln, was der Versicherungsnehmer verschwiegen habe (BGH, Urt. v. 17.01.2007 – IV ZR 106/06 Rn. 22).
D. Auswirkungen für die Praxis
Gemessen daran ist der Hinweis des OLG Hamburg hinsichtlich der Nachfrageobliegenheit m.E. zweifelhaft. Der Versicherungsnehmer hatte die eindeutige Frage, ob alle Unfallschäden sach- und fachgerecht behoben wurden, ohne Einschränkungen mit „ja“ beantwortet. Die Frage war damit klar beantwortet und eine Nachfrageobliegenheit m.E. zu verneinen. Dem Versicherungsnehmer musste dies auch vor dem Hintergrund der Belehrung gemäß § 28 Abs. 4 VVG klar sein. Der Versicherer muss m.E nicht davon ausgehen, dass die uneingeschränkte Frage nach der Beseitigung sämtlicher Schäden falsch beantwortet sein könnte, weil der Versicherungsnehmer im Weiteren angibt, dass ein Beleg für eine der Reparaturen bereits vorliege. Daraus ergibt sich gerade nicht im Umkehrschluss, dass der weitere Schaden zwar reguliert, aber noch nicht behoben ist. Es sind nämlich auch andere Gründe denkbar, weshalb dem Versicherungsnehmer trotz Schadensbeseitigung (noch) kein Beleg vorliegt.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Zutreffend sind die Ausführungen des OLG Hamburg demgegenüber hinsichtlich der Kausalität des Vorwurfs der Herbeiführung des Versicherungsfalls. Der Versicherungsfall muss nämlich gerade infolge der groben Fahrlässigkeit eingetreten sein (Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, § 81 Rn. 50 m.w.N). Dies bedeutet, dass der Versicherer beweisen muss, dass das grob fahrlässige Verhalten zum Eintritt des Versicherungsfalls geführt hat, mithin der Versicherungsfall ohne das Verhalten nicht so, wie tatsächlich geschehen, eingetreten wäre (Langheid in Langheid/Rixecker, VVG, § 81 Rn. 115 m.w.N.). Dass der Versicherungsfall auch bei einem nicht grob fahrlässigen Verhalten in gleicher Weise eingetreten wäre, muss demgegenüber der Versicherungsnehmer beweisen. Ein Anscheinsbeweis, dass der Defekt des Zündschlosses ursächlich für die Entwendung geworden ist, dürfte mangels weiterer Anhaltspunkte insoweit nicht in Betracht kommen.
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