Nachfolgend ein Beitrag vom 11.10.2018 von Schwartz, jurisPR-VersR 10/2018 Anm. 3
Orientierungssatz zur Anmerkung
Eine subjektbezogene Schadensbetrachtung verbietet sich in den Fällen, in denen die Auswahl des Sachverständigen nicht durch den Geschädigten alleine, sondern nach Vermittlung durch eine Werkstatt, einen Rechtsanwalt oder den Haftpflichtversicherer erfolgt („Schadenservice aus einer Hand“).
A. Problemstellung
Die Entscheidung betrifft die Frage nach dem Umfang der gemäß § 249 BGB nach einem Verkehrsunfall erstattungsfähigen Sachverständigenkosten. Das AG Frankenthal bezieht sich auf Grundsätze, die es selbst in einer früheren Entscheidung aufgestellt hatte (AG Frankenthal, Urt. v. 14.06.2016 – 3a C 79/16). Die Entscheidung ist vor allem wegen dieser – von der neueren Rechtsprechung des BGH teilweise abweichenden – Argumentation von Interesse.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das AG Frankenthal referiert zunächst die Grundsätze des BGH zur subjektbezogenen Schadensbetrachtung, die auch für die Beurteilung der Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gelten: Ein Indiz für die Erforderlichkeit bilde die Übereinstimmung des von dem Geschädigten erbrachten Kostenaufwandes mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden Preisvereinbarung, sofern diese nicht auch für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegen würde. Nur wenn der Geschädigte erkennen könne, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlange, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen würden, gebiete das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen. Bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen dürfe sich der Geschädigte daher damit begnügen, den ihm, in seiner Lage, ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen, ohne vorher Marktforschung zu betreiben, Kostenvoranschläge einzuholen oder Preisvergleiche anzustellen.
Eine subjektbezogene Schadensbetrachtung verbiete sich hingegen in den Fällen, in denen die Auswahl des Sachverständigen nicht durch den Geschädigten alleine, sondern nach Vermittlung einer Werkstätte, eines Rechtsanwalts oder gar des Haftpflichtversicherers erfolge („Schadensservice aus einer Hand“). Es sei dann auf deren professionelle Erkenntnismöglichkeiten abzustellen und grundsätzlich davon auszugehen, dass kein Sachverständiger ausgewählt werde, der höhere als die in der Branche üblichen Gebührensätze verlange. Der Geschädigte könne in diesem Fall lediglich die von ihm darzulegende und nachzuweisende branchenübliche Vergütung i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB verlangen, da ein Verschulden bei der Auswahl des Sachverständigen durch die Werkstätte oder den Anwalt dem Geschädigten zuzurechnen sei. Der Einwand, dass der Geschädigte den Sachverständigen nicht selbst gesucht, sondern durch eine Werkstätte und/oder einen Rechtsanwalt bzw. Haftpflichtversicherer habe auswählen lassen, sei durch den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung vorzubringen. Hierzu bedürfe es etwa eines Verweises auf mehrere vergleichbare Fälle, in denen wegen der Kombination aus einer bestimmten Werkstätte, eines bestimmten Anwalts, eines bestimmten Sachverständigen bzw. bestimmter gleicher Geschehensabläufe, eine auffällige Indizienkette bestehe, die darauf hinweise, dass in diesen Fällen der Sachverständige regelmäßig nicht vom Geschädigten ausgewählt worden sei. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast habe der Geschädigte dann darzulegen, dass es im streitgegenständlichen Fall anders gewesen sei, was sodann wieder durch den Schädiger zu widerlegen sei.
Sofern nach den vorstehenden Grundsätzen eine subjektbezogene Schadensbetrachtung geboten sei, verbiete sich wegen des Fehlens von Gebührenordnungen eine Pauschalierung. Gebe es für den Fachmann keine verlässlichen Gebührenordnungen, so sei für einen Geschädigten regelmäßig nicht zu erkennen, wann die Honorarsätze „die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen“. Der Gutachter sei nicht verpflichtet, Lichtbilder nach Discountpreisen abzurechnen, Gleiches gelte für Fahrtkosten; auch EDV-Kosten könnten gesondert abgerechnet werden. Entscheidend sei weiterhin, dass selbst einzelne, überhöht erscheinende Nebenpositionen dann nicht zu beanstanden seien, wenn kein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Gesamtpreis des Sachverständigengutachtens und der Leistung des Sachverständigen bestehe. Es könne nicht sein, dass bei identischem Aufwand für die Gutachtenerstattung die Abrechnung eines Sachverständigen, der ein niedrigeres Grundhonorar, aber höhere Nebenkosten und trotzdem ein geringeres Gesamthonorar verlange, beanstandet werden solle, während die Abrechnung eines anderen Sachverständigen, der geringe Nebenkosten, aber ein höheres Grundhonorar und deshalb insgesamt eine höhere Gesamtvergütung beanspruche, unbeanstandet bleibe. Es müsse deshalb grundsätzlich auf den Gesamtbetrag ankommen. Eine Kürzung zu Lasten des Geschädigten scheide aus, wenn der Gesamtbetrag die in der Branche üblichen Gesamthonorare nicht deutlich übersteige, da in diesem Fall wegen der fehlenden Transparenz der gutachterlichen Abrechnungen ein nicht fachkundiger Geschädigter nicht erkennen könne, ob die Abrechnung überhöht sei. Die Erstattungsfähigkeit könne demgemäß nur dann verneint werden, wenn selbst für einen Laien erkennbar sei, dass der Sachverständige sein Honorar geradezu willkürlich festgesetzt habe bzw. Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen würden.
Eine deutliche Überhöhung der streitgegenständlichen Nebenkosten – 16 Farbfotos à 2,50 Euro, anteilige Fahrtkosten 22 km à 1,10 Euro/Kilometer und Kalkulationskosten i.H.v. 20 Euro bei einem 16-seitigen Schadensgutachten und Bruttoreparaturkosten i.H.v. 8.728,25 Euro – sei danach nicht gegeben.
C. Kontext der Entscheidung
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Umfang des gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB objektiv erforderlichen Herstellungsaufwandes auch hinsichtlich der Sachverständigenkosten an Hand einer subjektbezogenen Schadensbetrachtung zu beurteilen (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – VI ZR 61/17 Rn. 17 m.w.N.). Es ist danach Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – VI ZR 61/17). Das AG Frankenthal geht demgegenüber davon aus, dass unter bestimmten Voraussetzungen nicht auf den Geschädigten abzustellen sei, sondern auf die professionellen Erkenntnismöglichkeiten der von diesem Beauftragten.
Meines Erachtens ist es nicht zutreffend, danach zu differenzieren, ob der Geschädigte selbst den Sachverständigen beauftragt hat oder ob dieser unter Vermittlung einer Werkstatt/eines Rechtsanwaltes beauftragt wurde, und in diesem Fall auf die Erkenntnismöglichkeiten dieser Beauftragten abzustellen. Zwar ist § 278 BGB gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB unmittelbar anwendbar hinsichtlich eines mitwirkenden Verschuldens Dritter bei der Schadensminderungs- und Schadensabwendungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB, weil das für § 278 BGB erforderliche Schuldverhältnis mit dem Beginn der schädigenden Handlung hergestellt ist (Ebert in: Erman, BGB, 15. Aufl., § 254 Rn. 80). § 278 BGB ist aber – sofern nicht bereits zur Zeit der Schädigung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger eine schuldrechtliche Beziehung bestanden hat – gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB nur dann uneingeschränkt anwendbar, wenn die Hilfsperson vom Geschädigten zur Erfüllung seiner sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Verpflichtungen eingesetzt wird, also zur Schadensminderung oder Schadensabwendung. § 278 BGB findet gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB hinsichtlich eines mitwirkenden Verschuldens bei der Schadensentstehung demgegenüber nur dann Anwendung, wenn bereits zur Zeit der Schädigung eine schuldrechtliche Beziehung bestand, in deren Rahmen der Dritte tätig geworden ist.
Das AG Frankenthal verkennt meines Erachtens, dass sowohl der Rechtsanwalt wie auch die Werkstatt durch den Geschädigten in der Regel ausschließlich zur Schadensbeseitigung eingesetzt werden (Ebert in: Erman, BGB, 15. Aufl. § 254 Rn. 80). Werden Hilfspersonen zur Schadensbeseitigung eingesetzt, also zu einer dem Schädiger obliegenden Aufgabe, so unterliegen die ihnen hierbei unterlaufenden Schäden nicht dem § 278 BGB, können also nicht dem Geschädigten zugerechnet werden. Dies gilt sowohl für den Rechtsanwalt als nach ständiger Rechtsprechung auch für die Reparaturwerkstatt (Ebert in: Erman, BGB, 15. Aufl., § 254 Rn. 80 m.w.N.). Es entspricht dem Wesen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung des BGH, dass der gemäß § 249 BGB zur (Wieder-)Herstellung erforderliche Aufwand nach der besonderen Situation zu bemessen ist, in der sich der Geschädigte befindet (BGH, Urt. v. 13.01.2009 – VI ZR 205/08 Rn. 9 m.w.N.). Dabei geht es um die Frage, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, und nicht (nur) um einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – VI ZR 61/17). Es ist daher meines Erachtens nicht gerechtfertigt, im Rahmen von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB auf die Erkenntnismöglichkeiten Dritter abzustellen, die zur Schadensbeseitigung beauftragt wurden.
D. Auswirkungen für die Praxis
In der anwaltlichen Praxis wird es darauf ankommen auf die genannten rechtlichen Grenzen der Zurechnung des Wissens von Hilfspersonen hinzuweisen. Hilfreich ist insoweit auch ein Vergleich mit der Rechtslage bei der Bestimmung des Restwertes: Der BGH entschied hierzu bereits, dass die Beauftragung eines Sachverständigen nichts daran ändere, dass der Umfang der Herstellungskosten aus der Sicht des Geschädigten zu bestimmen sei. Insbesondere habe der Sachverständige bei der Ermittlung des Restwertes auf denjenigen Kaufpreis abzustellen, der auf dem für den Geschädigten allgemein zugänglichen regionalen Markt zu erzielen sei (BGH, Urt. v. 13.01.2009 – VI ZR 205/08 Rn. 10). Der Sachverständige habe nicht die (ihm mögliche) optimale Verwertungsmöglichkeit unter Einschluss von Online-Börsen zu ermitteln, weil der Gutachtensumfang durch den Gutachtensauftrag und nicht durch das Interesse des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners an einer besonders kostensparenden Schadensabrechnung bestimmt werde. Wenn der Fahrzeugeigentümer Internetangebote nicht berücksichtigen müsse, seien diese auch vom Gutachter nicht einzubeziehen. Der Sachverständige habe vielmehr den Fahrzeugrestwert aus der Position seines Auftraggebers zu ermitteln (BGH, Urt. v. 13.01.2009 – VI ZR 205/08 Rn. 10; zuletzt bestätigt BGH, Urt. v. 27.09.2016 – VI ZR 673/15). Konsequenterweise ist auch die Höhe der erstattungsfähigen Sachverständigenkosten anhand der Situation des Geschädigten zu beurteilen und nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten Dritter abzustellen, die im Verhältnis zu dem Schädiger keine Erfüllungsgehilfen des Geschädigten sind. Demgegenüber würde die Auffassung des AG Frankenthal dazu führen, dass der Umfang des Schadens maßgeblich nicht durch die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bestimmt würde, sondern davon abhinge, ob dieser einen Rechtsanwalt bzw. einen Sachverständigen beauftragt hat.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Abweichend von der Rechtsprechung des BGH soll es nach Ansicht des AG Frankenthal bei der Frage, ob die durch den Sachverständigen beanspruchten Nebenkosten erkennbar überhöht sind, nicht auf eine isolierte Betrachtung der Nebenkosten ankommen. Der BGH entschied hierzu, dass der wirtschaftlich denkende, verständige Geschädigte bei der von ihm durchzuführenden Plausibilitätskontrolle der Preisvereinbarung zu dem Schluss komme, dass mit den vereinbarten Nebenkosten nur der tatsächliche Aufwand für die Erstellung dieser Positionen bezahlt werden solle. Der Sachverständige habe mit einer angebotenen Preisvereinbarung, in der er neben einem pauschalen Grundhonorar zusätzlich bestimmte Nebenkosten fordere, für den Geschädigten zum Ausdruck gebracht, dass seine fachliche Sachverständigen- oder Ingenieurtätigkeit mit dem Grundhonorar abgegolten und daneben lediglich tatsächlich angefallene Aufwendungen verlangt würden (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – VI ZR 61/17 Rn. 27). Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Geschädigte daher bzgl. der Nebenkosten eine von dem Grundhonorar isolierte Plausibilitätskontrolle durchführen. Es kommt hinzu, dass der BGH davon ausgeht, dass es sich bei den einzelnen Nebenkosten regelmäßig um Kosten des täglichen Lebens handele, mit denen ein Erwachsener üblicherweise im Alltag konfrontiert sei und deren Höhe er typischerweise ohne besondere Sachkunde abschätzen könne (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – VI ZR 61/17).
Das AG Frankenthal folgt dieser Rechtsprechung des BGH meines Erachtens zu Recht nicht. Bereits der Ansatz des BGH, demzufolge der Geschädigte aus der Aufspaltung in ein Grundhonorar und Nebenkosten erkennen könne, dass der Sachverständige mit den Nebenkosten lediglich tatsächlich entstandene Aufwendungen berechne, ist nicht überzeugend. Vielmehr wird der Geschädigte, wie auch in anderen Dienstleistungsbereichen üblich, damit rechnen, dass der Sachverständige mit den Nebenkosten nicht bloß seinen eigenen tatsächlichen Aufwand weiterberechnet, sondern auch bei den Nebenkosten höhere Preise in Ansatz bringt als den eigenen „Einkaufspreis“ (vgl. Schwartz, jurisPR-VerkR 21/2016 Anm. 1). Dies dürfte aus der Sicht des Geschädigten schon deshalb naheliegend sein, weil der tatsächliche betriebswirtschaftliche Aufwand in Bezug auf einzelne Nebenkosten regelmäßig nur schwer zu ermitteln ist. Beispielsweise hängt der Kostenaufwand für die Erstellung von Lichtbildern und Schreibgebühren maßgeblich von den Personalkosten und dem verbundenen Zeitaufwand ab, der im Einzelfall nur schwer genau kalkuliert werden kann. Insofern wird der Geschädigte damit rechnen, dass der Sachverständige hinsichtlich der Nebenkosten keine genaue Berechnung seines tatsächlichen Aufwandes vornimmt, sondern eine mindestens kostendeckende Pauschalierung, die ggf. auch noch eine gewisse Gewinnmarge beinhaltet.