„Hilfssheriff“-Rechtsprechung im Vormarsch: Nachfolgend ein Beitrag vom 13.4.2018 von Starnecker, jurisPR-ITR 7/2018 Anm. 5
Leitsatz
Die Aufzeichnung mutmaßlich verkehrsordnungswidriger Verhaltensweisen Dritter im öffentlichen Straßenverkehr mittels einer sog. Dashcam (Onboard-Kamera) und die anschließende Übermittlung der dergestalt erhobenen Daten an die zuständige Bußgeldbehörde zwecks Ahndung evtl. begangener Verkehrsordnungswidrigkeiten verstößt gegen § 1 Abs. 1 BDSG und stellt somit eine unzulässige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Verkehrsteilnehmer dar. Derartige Handlungen werden vom personalen und sachlichen Anwendungsbereich der entsprechenden Schutzvorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes, u.a. von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG erfasst und durch § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG als Ordnungswidrigkeit sanktioniert.
A. Problemstellung
Die Entscheidung des OLG Celle stellt die erste obergerichtliche Entscheidung zu Dashcams aus datenschutzrechtlicher Sicht dar. Bisher ergingen aus rein datenschutzrechtlicher Perspektive Entscheidungen des VG Ansbach (Urt. v. 12.08.2014 – AN 4 K 13.01634) sowie des VG Göttingen im Eilrechtsschutz- (Beschl. v. 12.10.2016 – 1 B 171/16) und Hauptsacheverfahren (Urt. v. 31.05.2017 – 1 A 170/16). Aber auch von Amtsgerichten ergingen entsprechende Entscheidungen in Bußgeldverfahren (z.B. AG München, Urt. v. 09.08.2017 – 1112 OWi 300 Js 121012/17).
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Betroffene fertigte seit Anfang 2014 mit seinen im Pkw installierten Dashcams Aufnahmen des Straßenverkehrs an. Er reichte diese Aufnahmen bzw. Screenshots der Aufnahmen bei den zuständigen Stellen ein, um Verkehrsverstöße anzuzeigen. Das AG Hannover hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Erhebung und Verarbeitung nicht allgemein zugänglicher personenbezogener Daten zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt. Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt.
Das OLG Celle hat die Rechtsbeschwerde als zulässig, aber unbegründet angesehen. Lediglich den Schuldspruch hat das Oberlandesgericht in verschärfter Weise zu einer vorsätzlichen Begehung der Ordnungswidrigkeit abgeändert.
Das Oberlandesgericht bestätigte den Verstoß gegen das Datenschutzrecht durch die Verwendung der Dashcam. Zuerst beschäftigte es sich mit der Anwendbarkeit des Datenschutzrechts. Hierbei ging das Oberlandesgericht davon aus, dass die Aufnahmen personenbezogene Daten nach § 3 Abs. 1 BDSG darstellen. Nach der Ansicht des Oberlandesgerichts ist jeder Kraftfahrer über sein Kfz-Kennzeichen zweifelsfrei bestimmbar. Die Haushaltsausnahme nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 HS. 2 BSDG wurde vom Oberlandesgericht konsequent verneint, denn die Intention des Betroffenen bestand in der Anzeige von Verkehrsordnungswidrigkeiten, welche keiner ausschließlich familiären oder privaten Tätigkeit dient.
Richtigerweise wurde § 6b BDSG als lex specialis für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume qualifiziert und die Dashcam an dessen Anforderungen überprüft.
Den Schwerpunkt der Ausführungen zu § 6b BDSG bildet dabei die Frage, ob ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 6b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG vorliegt. Berechtigt können rechtliche, wirtschaftliche oder auch nur ideelle Interessen sein. Das OLG Celle stellte klar, dass kein berechtigtes Interesse i.S.v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG vorliegt, wenn der Verwender der Dashcam diese lediglich zum Zwecke der Anzeige und Dokumentation von Verkehrsordnungswidrigkeiten betreibt. Das Interesse an der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sei primär ein rein staatliches. Es könne nur mittelbar ein privates Interesse sein, z.B. wenn zivilrechtliche Schadensersatzansprüche im Raum stünden. Das OLG Celle führt damit die sog. „Hilfssheriff“-Rechtsprechung, die sich auch schon in den Entscheidungen des VG Göttingen (Beschl. v. 12.10.2016 – 1 B 171/16 m. Anm. Starnecker/Wessels, ZD 2017, 46; Urt. v. 31.05.2017 – 1 A 170/16 m. Anm. Starnecker, jurisPR-ITR 5/2018 Anm. 5) findet, fort.
Abschließend stellte das Oberlandesgericht noch fest, dass der Betroffene auch den Hinweispflichten nach § 6b Abs. 2 BDSG nicht genüge getan hat.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Celle steht im Einklang mit den Entscheidungen des VG Göttingen (Beschl. v. 12.10.2016 – 1 B 171/16 m. Anm. Starnecker/Wessels, ZD 2017, 46; Urt. v. 31.05.2017 – 1 A 170/16 m. Anm. Starnecker, jurisPR-ITR 5/2018 Anm. 5). Das Oberlandesgericht hatte sich nicht mit technischen Finessen von Dashcams zu beschäftigen, sondern konnte schon aus anderen Gesichtspunkten die Datenschutzwidrigkeit annehmen. Es war in der Lage, bereits ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 6b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG zu verneinen. Folglich bestärkt das Oberlandesgericht die sog. „Hilfssheriff“-Rechtsprechung. Ein berechtigtes Interesse kann nicht angenommen werden, wenn der Verwender lediglich die Anzeige von Verkehrsordnungswidrigkeiten verfolgt.
Um die Dashcam-Nutzung datenschutzkonform auszugestalten, sind hohe technische Vorgaben einzuhalten. Elemente einer solchen restriktiven Ausgestaltung müssen die Implementierung von Black Boxes, automatisierter Auslösung der damit verbundenen nachhaltigen Speicherung, eingeschränkter Zugriffsmanagementsysteme und Kenntlichmachung der Aufnahmen sein (weiterführend: 10-Punkte-Katalog bei Starnecker, Videoüberwachung zur Risikovorsorge, 2017, S. 361 ff.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Zwar werden Dashcam-Aufnahmen vielfach als Beweismittel in der Rechtsprechung zugelassen (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.08.2017 – 13 U 851/17 m. Anm. Lach, jurisPR-ITR 22/2017 Anm. 4), dies kann aber nicht über die oftmals bestehende Datenschutzrechtswidrigkeit hinwegtäuschen. Die Verwendung einer datenschutzrechtswidrigen Dashcam kann eine Vielzahl von Konsequenzen zur Folge haben:
Wie im hier entschiedenen Fall des OLG Celle kann die Verwendung ein Bußgeld gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG nach sich ziehen. Daneben sind datenschutzrechtliche Anordnungen auf Grundlage von § 38 BDSG möglich. Verschärft werden diese aus der datenschutzrechtlichen Ecke kommenden Konsequenzen durch die ab 25.05.2018 in Kraft tretende Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO). In zivilrechtlicher Hinsicht können Unterlassungs- aber auch Schadensersatzansprüche drohen (Starnecker/Wessels, CR 2016, 241, 243).
Konsequenterweise kann auch das Polizeirecht in diesem Bereich eine Rolle spielen, denn die Verwendung der Dashcam entgegen dem geltenden Datenschutzrecht stellt einen Verstoß gegen die Rechtsordnung dar und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die öffentliche Sicherheit schützt nicht nur Individualrechtsgüter, sondern auch eine kollektive Komponente; hierbei unter anderem die Rechtsordnung. Damit kann die Dashcam bei einer Kontrolle im Straßenverkehr auch einer Sicherstellung unterliegen. Natürlich unterliegt dies dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der vielfach weniger eingriffsintensive Maßnahmen gebieten wird.