Nachfolgend ein Beitrag vom 14.11.2018 von Jahnke, jurisPR-VerkR 23/2018 Anm. 5
Leitsatz
Eine Strafbarkeit gemäß § 6 PflVG setzt voraus, dass ein Versicherungsvertrag entweder nicht geschlossen oder durch Kündigung, Rücktritt, Anfechtung oder in anderer Weise aufgelöst worden ist. Im Falle der Vertragsauflösung muss das Urteil die Tatsachen feststellen, aus denen sich die Wirksamkeit der Vertragsauflösung ergibt.
A. Problemstellung
Der Strafrichter muss, will er eine Strafbarkeit wegen Fahrens mit einem unversicherten Fahrzeug annehmen, die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen einschließlich der versicherungsvertragsrechtlichen Umstände sorgfältig prüfen und hierzu die notwendigen Feststellungen treffen und diese im Strafurteil darstellen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Wer ein Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht (§ 6 Abs. 1 Alt. 1 PflVG) oder den Gebrauch gestattet (§ 6 Abs. 1 Alt. 2 PflVG), obwohl für das Fahrzeug der nach § 1 PflVG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht (nicht mehr) besteht, macht sich nach § 6 PflVG strafbar. Der Versuch ist nicht strafbar (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB). § 9 AuslPflVG enthält eine § 6 PflVG entsprechende Regel.
Der Angeklagte ließ am 12.07.2016 einen PKW, dessen Halter er war, auf sich zu. Dazu hatte er sich eine vorläufige Deckungszusage in Form einer EVB-Nummer der B-Versicherung geben lassen. Eine solche Versicherungsnummer berechtigt für die Dauer von sechs Monaten, ein Fahrzeug vorläufig zulassen zu dürfen. Wird ein Fahrzeug in diesem Zeitraum auf die EVB-Nummer zugelassen, ist sie für 14 Tage aktiviert. In diesem Zeitraum ist der Versicherungsnehmer gehalten, einen Versicherungsvertrag abzuschließen. Geschieht dies nicht, kündigt die Versicherung den Versicherungsschutz nach Mahnung auf und veranlasst die Stilllegung des Fahrzeugs beim Straßenverkehrsamt. Bis zur Kündigung besteht der vorläufige Versicherungsanspruch zur Absicherung des Direktanspruchs fort.
Einen Versicherungsvertrag schloss der Angeklagte nicht ab, obwohl er mehrfach durch die Versicherung dazu entsprechend aufgefordert worden war. Zahlungen hat der Angeklagte nicht erbracht. Die Versicherung kündigte den vorläufigen Versicherungsschutz. Ob die Schreiben der Versicherung den Angeklagten erreichten, ist offen.
Der Angeklagte befuhr am 22.12.2016 mit seinem Pkw öffentliche Straßen und geriet dabei in eine polizeiliche Verkehrskontrolle. Dabei wurde der fehlende Versicherungsschutz bemerkt.
Das Amtsgericht hatte den Angeklagten verurteilt, das Landgericht hatte die Berufung verworfen.
Das OLG Hamm hat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Der Schuldspruch halte der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, da die insoweit lückenhaften Feststellungen die Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz nicht tragen. Das Urteil leide bezüglich der Mindestfeststellungen i.S.v. § 6 PflVG an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Zwar sei ausweislich der Feststellungen eine Kündigung des vorläufigen Versicherungsschutzes mit Schreiben vom 20.09.2016 erfolgt. Allerdings habe das Landgericht den Zugang dieses Schreibens ausdrücklich nicht feststellen können. Es fehle daher an der Darlegung des für die Wirksamkeit der Kündigung ausschlaggebenden Zugangs des entsprechenden Schreibens.
C. Kontext der Entscheidung
I. Versicherungspflichtige Fahrzeuge sind Kfz und (weitgehend) Anhänger, aber auch z.B. Pocketbike (OLG Dresden, Beschl. v. 11.09.2013 – 2 OLG 21 Ss 652/13), Hoverboard (AG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2016 – 412 Cs 206/16) oder Fahrrad mit Gleitschirmpropellermotor (OLG Oldenburg, Urt. v. 03.05.1999 – 1 Ss 105/99) (vgl. näher Dust, NZV 2016, 353; Huppertz, NZV 2016, 513; Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Aufl. 2017, § 1 PflVG Rn. 17 ff., § 6 PflVG Rn. 7 ff.). Ob Elektrofahrräder, E-Bikes bzw. Pedelecs als (versicherungspflichtige) Kfz gelten, ist im Einzelfall genau zu prüfen (vgl. näher Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 254 BGB Rn. 241).
II. Die Nutzung muss auf öffentlicher Verkehrsfläche erfolgen (vgl. § 1 PflVG, § 1 Abs. 1 Satz 1 StVG). Zu Einzelheiten Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Aufl. 2017, § 6 PflVG Rn. 11 ff.
III. Die Strafbarkeit setzt tatbestandlich voraus, dass ein erforderlicher Versicherungsvertrag entweder nicht geschlossen oder durch Kündigung, Rücktritt, Anfechtung oder in anderer Weise aufgelöst worden ist (KG, Beschl. v. 26.11.2001 – (3) 1 Ss 185/01; KG, Beschl. v. 05.06.2000 – (3) 1 Ss 5/00 (31/00)).
1. Besteht keine Versicherungspflicht nach § 1 PflVG, fehlt es an einer „erforderlichen“ Versicherung. Zu nennen sind als versicherungsfreie Fahrzeuge die Fallgruppen des § 2 PflVG; zulassungsfreie Anhänger (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 FZV), versicherungsfreie Fahrzeuge, abgeschleppte betriebsunfähige Fahrzeuge.
2. Entscheidend ist das formelle Bestehen eines Versicherungsvertrages, nicht dagegen, ob aus diesem Vertrag auch materieller Versicherungsschutz herzuleiten ist (BayObLG, Beschl. v. 21.05.1993 – 1St RR 19/93; OLG Hamm, Beschl. v. 18.12.2006 – 2 Ss 533/06).
Auch der Vertrag über die vorläufige Deckung schließt den Straftatbestand aus (BT-Drs. 4/2252, S. 21; BGH, Beschl. v. 16.04.1985 – 4 StR 755/84; BayObLG, Beschl. v. 28.04.1980 – RReg 1 St 28/80; OLG Celle, Beschl. v. 08.08.2013 – 31 Ss 20/13).
Der Umstand der Nachhaftung (§ 117 Abs. 2 VVG) führt nicht zum Fortfall der Strafbarkeit (BGH, Beschl. v. 03.11.1983 – 4 StR 80/83).
3. Unsachgemäße, entstempelte (OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.06.2017 – 1 Ss 115/17) oder fehlende Kennzeichen sind irrelevant; versichert wird das Fahrzeug, nicht das Kennzeichen. Andererseits bedeutet das Vorhandensein von gültigen Kennzeichen nicht, dass auch Versicherungsschutz besteht.
Saisonkennzeichen (§ 9 Abs. 3 FZV) ermöglichen eine Beschränkung der Zulassung eines Fahrzeuges auf bestimmte Monate. Da der Versicherungsvertrag in seinem Bestand durch den Pflichtenverstoß des Versicherungsnehmers nicht berührt wird, liegt bei Nutzung außerhalb der Saison keine Straftat nach § 6 PflVG vor (Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Aufl. 2017, § 6 PflVG Rn. 24; a.A. Feyock/Jacobsen/Lemor, 3. Aufl. 2009, § 6 PflVG Rn. 1; siehe auch BayObLG Beschl. v. 21.05.1993 – 1St RR 19/93 zur Ruheversicherung).
Wird ein Fahrzeug mit der Absicht außer Betrieb gesetzt, es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zuzulassen (vgl. § 14 Abs. 1 FZV), kann Versicherungsschutz unter dem Aspekt der (beitragsfreien) Ruheversicherung bestehen. Der Ruhevertrag ist ein Vertrag i.S.v. § 6 PflVG, der die Haftpflichtrisiken des § 1 PflVG abdeckt.
Ist die Vertragswirksamkeit auf die auf dem Kennzeichen vermerkte Zulassungsdauer (z.B. Ausfuhr- und Kurzzeitkennzeichen; §§ 16a, 19 FZV) beschränkt, besteht für die übrige Zeit kein wirksamer Versicherungsvertrag. Dies führt zur Strafbarkeit nach § 6 PflVG (Feyock/Jacobsen/Lemor, 3. Aufl. 2009, § 6 PflVG Rn. 1). Mit Weitergabe des Kennzeichens geht der Versicherungsschutz aus dem im Zusammenhang mit der Erteilung des Kurzzeitkennzeichens abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag nicht auf den Dritten über (BGH, Urt. v. 11.11.2015 – IV ZR 429/14).
Versicherungskennzeichen (§ 26 FZV) laufen stets Ende Februar des jeweiligen Versicherungsjahres ab, ohne sich automatisch zu verlängern. Die Nutzung außerhalb der Versicherungsperiode ist strafbar nach § 6 PflVG.
Wird das Fahrzeug schuldhaft falsch versichert (z.B. Motorrad als Fahrzeug mit Versicherungskennzeichen), kommt ein wirksamer Vertrag dann nicht zustande, wenn die Versicherungsprämie zu niedrig ausfällt.
Das Mitführen eines nicht-versicherten, aber versicherungspflichtigen, Anhängers ist dann nicht strafbar, wenn über das ziehende Fahrzeug ausreichender Versicherungsschutz besteht (OLG Celle Urt. v. 07.06.1983 – 1 Ss 294/83).
4. Vertragsverletzungen (wie Gefahrerhöhung [z.B. frisiertes Zweirad; OLG Bremen, Beschl. v. 24.05.1982 – Ss 45/82; OLG Köln, Beschl. v. 16.12.2003 – Ss 508/03; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.05.1977 – 1 Ss 148/77]; Obliegenheitsverletzung; Umnutzung [z.B. PKW als Vermietfahrzeug]) führen zwar zur Leistungsfreiheit, berühren aber nicht den Bestand des Vertrages (Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Aufl. 2017, § 6 PflVG Rn. 34 ff.).
5. Im Falle der Vertragsauflösung muss das Urteil die Tatsachen feststellen, aus denen sich die Wirksamkeit der Vertragsauflösung ergibt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Unsorgfältige oder unvollständige Prüfung der versicherungsrechtlichen Lage führt dazu, dass der Strafausspruch in der Rechtsmittelinstanz nicht hält.
Versicherungsvertraglich ist festzuhalten, dass die Nutzung von Fahrzeugen ohne Versicherungsschutz Halter und Fahrer nicht von ihrer zivilrechtlichen Haftung entbinden. Sie haften mit ihrem eigenen Vermögen.
Da Halter und Fahrer keinen Versicherungsschutz bei einer Kfz-Haftpflichtversicherung genießen, haben sie etwaig von ihnen verursachte Schäden vollständig aus dem eigenen Vermögen zu begleichen (zum Fahrer vgl. ergänzend Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Aufl. 2017, § 123 VVG Rn. 29 ff.). Da die Verkehrsopferhilfe nicht dem Täterschutz dient, sondern ausschließlich dem Opferschutz, bleibt bei großen Sachschäden oder bei schwerer Körperverletzung dem Täter dann unter Umständen nur der Weg in die Insolvenz. Die Verkehrsopferhilfe (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 PflVG) tritt erst dann ein, wenn der Schädiger selbst nichts mehr leisten kann. Erst dann werden materielle Schäden des Opfers entsprechend der Haftung, dem Volumen nach beschränkt auf die gesetzlich im Unfallzeitpunkt vorgesehene Mindestversicherungssumme, reguliert, ein etwaig zu zahlendes Schmerzensgeld ist jedoch erheblich reduziert. Vgl. auch zur Vorsatztat (§ 103 VVG) Jahnke, jurisPR-VerkR 5/2012 Anm. 1 und Jahnke, jurisPR-VerkR 6/2008 Anm. 2.