Anspruch auf Übersendung der Entschlüsselungscodes für Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsverstoß

Nachfolgend ein Beitrag vom 20.5.2016 von Albrecht, jurisPR-ITR 10/2016 Anm. 2

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Durch die Verschlüsselung der im Rahmen von Geschwindigkeitskontrollen angefallenen Rohmessdaten durch den Hersteller eines Messgeräts wird die Rechtsfindung in unangemessener Weise behindert.
2. Der Hersteller eines Messgeräts ist verpflichtet, die zur Entschlüsselung von Rohmessdaten benötigten Codes einem durch den Betroffenen benannten Sachverständigen zur Begutachtung der Ordnungsmäßigkeit der Messung zu übermitteln.

A. Problemstellung

Die Überprüfung einer im Rahmen von Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr gefertigten Messung setzt die Einsichtnahme der Rohmessdaten voraus, da man anhand derer die Helligkeitsprofile der Fahrzeuge nachvollziehen kann, die im Rahmen der Messung erzeugt werden, und deren Zeitversatz Grundlage des Messergebnisses ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Betroffene muss sich im vorliegenden Verfahren wegen eines Verstoßes gegen die zulässige angeordnete Höchstgeschwindigkeit verantworten. Er begehrte vorgerichtlich von der Zentralen Bußgeldstelle diverse Informationen und Unterlagen, insbesondere die Rohmessdateien in unverschlüsselter Form.
Das AG Landstuhl weist darauf hin, dass ein mit einem mutmaßlichen Geschwindigkeitsverstoß konfrontierter Betroffener Anspruch auf Entschlüsselung der ihn betreffenden Rohmessdaten hat. Zu diesem Zweck sind dem von dem Betroffenen beauftragten Sachverständigen die erforderlichen Entschlüsselungscodes seitens der Codeinhaber zur Verfügung zu stellen.
Der Betroffene darf insoweit auch nicht auf das behördliche oder gerichtliche Prüfverfahren verwiesen werden. Insoweit ist nämlich zu beachten, dass er bei standardisierten Messverfahren selbst gehalten ist, konkrete Einwände gegen die Ordnungsmäßigkeit der Messung vorzutragen. Nur aufgrund solcher Einwände bzw. eines entsprechenden Beweisantrags ist das Gericht gehalten, eine Begutachtung der Messung zu veranlassen. „Würde man [dem Betroffenen vor diesem Hintergrund] nur verschlüsselte Messdaten zur Verfügung stellen, befände sich der Betroffene in einer juristisch unauflösbaren Situation, was wenigstens gegen Art. 103 GG verstieße“ (Besprechungsentscheidung Rn. 13).

C. Kontext der Entscheidung

Der Hersteller eines für Geschwindigkeitskontrollen genutzten Messgeräts erwirbt durch die automatisch veranlasste Verschlüsselung der Rohmessdaten keine Berechtigung an selbigen. Nicht der Hersteller, sondern der eingesetzte Messbeamte, der das Geschwindigkeitsmessgerät bedient, erzeugt die Messdaten (OLG Naumburg, Urt. v. 27.08.2014 – 6 U 3/14 Rn. 26).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung belegt, dass sich der Kampf um die vollständige Einsichtnahme der Verfahrensakten bzw. Messergebnisse durchaus lohnen kann. Ein Verteidiger, der sich hier auf behördliche oder herstellerseitige Auskünfte verlässt, vergibt wichtige Verteidigungschancen. Das AG Landstuhl weist ausdrücklich darauf hin, dass die Verteidigung eigene Ermittlungen anstellen darf, was sie ggf. auch muss.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die im vorliegenden Zusammenhang festgestellte Praxis, wonach Einzelmessungen durch den Hersteller des Messgeräts gegen eine Gebühr entschlüsselt werden können, ist rechtswidrig. Diesbezüglich ist zunächst zu beachten, dass die Messdaten aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken nicht durch die Behörden an den Hersteller eines Messgeräts übermittelt werden dürfen. Gleichzeitig hat ein Betroffener aber einen Anspruch auf vollständige Aufklärung eines ihm gemachten Vorwurfs, weswegen eine Entschlüsselung verschlüsselter Rohdatensätze zwingend erforderlich ist. Der Hersteller eines Messgeräts ist in diesem Zusammenhang zur Mitwirkung verpflichtet und bleibt auf die Geltendmachung der Entschädigungssätze des JVEG beschränkt, die auch die Übermittlung von Messdaten umfassen.